Impulsbeitrag “Geflüchtet, gerettet, gestrandet?”
Punkt 7 - 30 Minuten innehalten für die Nöte der Welt
7. Januar 2025, 19:00 Uhr
Simon Oschwald
Guten Abend
vielen Dank, dass ich hier sein darf, es berührt mich, dass ich von unserer Arbeit im Fachbereich Migration des Diakonischen Werks Augsburgs heute Abend berichten darf.
Seit über 30 Jahren bietet das Werk sozialarbeiterische Hilfe für Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind, um hier Hilfe, Unterstützung, Sicherheit für sich und die eigene Familie zu erreichen oder ganz einfach ein gutes Leben zu finden.
In unsere Beratungsstellen mit inzwischen 60 aktiven Hauptamtlichen finden vor allem Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen oder auch aus Regionen dieser Erde, die von Armut geprägt sind.
Wenige Jahre nachdem ich meine Arbeit im Werk aufgenommen hatte, war es der syrische Bürgerkrieg und die starke Fluchtbewegung, die unsere Arbeit definiert haben. Später war es der Fall Afghanistans an die Taliban, der uns berührt hat und kurz darauf mussten Millionen vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine fliehen.
Das alles klingt so groß, nach Weltpolitik. Aber geflüchtete Menschen zeigen uns, dass uns diese Weltpolitik etwas angehen muss, weil es Menschen mit persönlichen Schicksalen sind, die in unsere Mitte finden und unsere Hilfe und Unterstützung brauchen.
Aus den Jahren 2015 und den folgenden ist mir ein Vater in Erinnerung geblieben, der in der Beratung in Tränen ausgebrochen ist, weil er zwar Flüchtlingsschutz erhalten hat, aber nicht wusste, wie er seine Familie, seine Frau und seine beiden vier- und fünfjährigen Kinder hätte nachholen können.
Der Familiennachzug ist, vorausgesetzt man hat überhaupt Anspruch, eine enorm zeitaufwendige Angelegenheit. In nicht wenigen Fällen hat die Lebensrealität dann zwischenzeitlich oft andere Fakten geschaffen.
Aus Afghanistan sind 2021 sehr plötzlich viele Ortskräfte, d. h. Menschen, die westliche Organisationen in Afghanistan unterstützt haben, nach Deutschland gebracht worden. Man sah ihnen die Erschütterung über den plötzlichen Niedergang des eigenen Landes deutlich an. In Deutschland mussten sie als allererstes häufig monatelang um die Zahlung von Sozialleistungen ringen, weil hier die jeweilige Berechtigung detailliert mit Dokumenten nachgewiesen werden muss.
Mir ist ein junger Mann aus Westafrika in Erinnerung, der 2018 nach Deutschland gekommen ist, weil er nach dem Verlust der eigenen Eltern und ohne Schulbildung dort keine Perspektive mehr für sich sah. Hier erhielt er schnell eine Ablehnung und hätte ins Herkunftsland zurückkehren müssen. Eine psychische Erkrankung verhinderte das jedoch und obwohl er dann jahrelang unter gesetzlicher Betreuung stand, hat erst ein weiterer Asylantrag und ein Gerichtsverfahren vor kurzem dazu geführt, dass er endlich bleiben durfte. Ein spendenfinanziertes psychiatrisches Gutachten machte hier den Unterschied.
Vor zwei Jahren dann kamen viele Ukrainer, überwiegend Frauen und Kinder. Es war schön zu sehen, dass unsere Gesellschaft ein zweites Mal in der Lage war, Türen zu öffnen. Viele ukrainische Geflüchtete sind privat oder in Kirchengemeinden untergekommen, für alle anderen haben Staat und Kommunen die Unterbringung organisiert.
Ich erinnere mich aber auch daran, wie man schon bald spekuliert hat, dass ukrainische Geflüchtete zur Behebung des Arbeitskräftemangels beitragen sollen.
Dabei schien man vergessen zu haben, dass eigentlich alle Kriegsflüchtlinge liebe Menschen zurücklassen mussten, weil sie in die Armee eingezogen wurden, weil sie gebrechlich waren oder schlimmer, weil der Krieg schon Opfer gefordert hatte. Dennoch mussten sie sich darum bemühen, dass die eigenen Kinder Bildung erhalten und man als Erwachsener selbst möglichst rasch die deutsche Sprache lernt. Nicht zuletzt, um Behördenansprüche bedienen zu können.
Hier bedürfte es mehr Zeit und Ruhe. Und es braucht die Unterstützung von vielen Ehren- und Hauptamtlichen, die das Deutsch lernen unterstützen, die zu Behörden begleiten, die tröstend zur Seite stehen.
Denn heute habe ich – man könnte sagen – von den Erfolgsgeschichten berichtet. Der syrische Mann konnte seine Familie nachholen. Für einige afghanische Ortskräfte haben wir Überbrückungskredite organisiert und viele ukrainischen Familien haben trotzdem etwas Stabilität im Leben erreicht.
Mich sorgen aber auch die vielen Menschen in Unterkünften, die wir eben nicht erreichen, die keine Begleitung und keine tröstende Unterstützung finden, die dann entweder jahrelang geduldet und ohne Perspektive in Unterkünften verbringen oder sogar abgeschoben werden, obwohl sich ihre Situation gar nicht so sehr von der des jungen Mannes aus Westafrika unterscheidet.
Eine Kollegin hat vor kurzem erschüttert von einer Frau mit zwei stark unterstützungsbedürftigen autistischen Kindern berichtet, die ohne Vater ins Herkunftsland abgeschoben wurden. Erste zaghafte Schritte zu einem stabilen Familienleben sind damit vernichtet.
Uns beschäftigen die Kinder in den Unterkünften, die auf engstem Raum ohne Rückzugsräume Schullaufbahnen begehen müssen und die es deswegen ungleich schwerer haben als andere.
Wir machen uns Gedanken um Menschen, die es vielleicht nicht in unsere ohnehin überlasteten Beratungsdienste schaffen, weil sie vielleicht alt, gebrechlich oder krank sind und deshalb Ihre Ansprüche nicht wahrnehmen und Chancen und Perspektiven verlieren.
Es macht betroffen, wenn Menschen noch immer jahrelang auf den Familiennachzug warten müssen, weil Behörden so viele Dokumente verlangen, die in irgendwelchen Kriegswirren verloren gegangen sind, während gleichzeitig Botschaften Termine erst in Monaten oder Jahren vergeben und sich in der Zwischenzeit gesetzliche Regelungen verschärfen.
Ganz persönlich ärgert mich, dass wir als Gesellschaft nicht in der Lage zu sein scheinen, auf unserem Erreichten aufzubauen, sondern, dass wir die Grenzen hochziehen, um die Fluchtmigration zu unterbinden, was die Not nicht lindert, sondern im Gegenteil vermehrt.
Es bleibt mir zum Schluss noch eine tiefe Überzeugung auszudrücken, von der ich finde, dass sie wieder und wieder ausgesprochen werden muss:
Menschen fliehen nicht in Sozialsysteme, sondern vor Krieg, Unterdrückung und Not.