7. Juni 2025 | Impuls von Michael Bernheim

 Impulsbeitrag „Der große Bruder wird uns unheimlich“ - Amerika geht auf Distanz zu seinen alten Freunden
 Punkt 7 - 30 Minuten innehalten für die Nöte der Welt
7. Juni 2025, 19:00 Uhr
  Michael Bernheim

Gestern war der 81. Jahrestag der Invasion in der Normandie. Am 6. Juni 1944 haben die alliierten Streitkräfte begonnen, auf dem europäischen Festland einen Brückenkopf zu erobern, Amerikaner, Kanadier, Briten und Franzosen, unter ihnen auch mein jüdischer Grossvater. ES war wohl der letzte entscheidende Schlag gegen Nazi-Deutschland. Und man sagt, es war die grösste militärische Operation der Geschichte ohne die amerikanische Militär- und Wirtschaftskraft undenkbar. 29‘000 amerikanische Soldaten sind dabei getötet worden. Wir Deutschen verdanken der USA unsere Freiheit. Auch das Wirtschaftswunder im Westen Deutschlands wäre ohne die Anschubfinanzierung, den Marshall-Plan, nicht möglich gewesen.

Und jetzt fällt die Nachkriegsgeneration aus allen Wolken, weil wir plötzlich für die USA Schmarotzer sind, Fremde, Konkurrenten.

Vieles davon hängt natürlich mit der schwierigen Persönlichkeit des amerikanischen Präsidenten zusammen. Aber er ist von vielen amerikanischen BürgerInnen gewählt worden, die gewusst haben, was sie erwartet. Trump hat offensichtlich die richtigen Saiten der amerikanischen Seele angeschlagen.

  1. Die USA ist ein reiches Land, in dem es alles oder fast alles in Hülle und Fülle gibt: Fruchtbaren Boden, Getreide, Obst, Gemüse, Fleisch, Erdgas, Erdöl, Eisen, Kohle, Uran, Gold. Europäische Siedler haben Amerika als „God’s own country“ bezeichnet, „Gottes eigenes Land“. Man kann sich gut vorstellen, dass ein Amerikaner sagt, wir brauchen keine anderen Länder, wenn einer unbedingt was importieren will, soll er dafür Zoll zahlen.
     
  2. Viele Amerikaner haben ihr Land noch nie verlassen. Es ist so gross und so vielfältig. Es gibt Gegenden mit ewigem Winter und solche mit ewigem Sommer. Es gibt riesige Städte und unendliche Flächen mit unberührter Natur. Es gibt Wüste und subtropische Sümpfe. Man muss es gar nicht verlassen, um etwas anderes zu sehen. Und es gibt überall die gleiche Währung, die gleichen Verkehrsregeln, einfach alles, und natürlich die gleiche Sprache. Viele Menschen haben noch nie eine andere Sprache als Englisch gehört, vielleicht mit Ausnahme Spanisch. Eine andere Sprache ist für die meisten Amerikaner höchst verunsichernd. Ein amerikanischer Kollege hat einmal zu mir gesagt: Warum spricht eigentlich nicht die ganze Welt Englisch? Oder ein anderer Kollege, der zum ersten Mal in Europa war: Jetzt bin ich schon einen halben Tag hier und verstehe aber immer noch kein Deutsch.
     
  3. Nach dem 2. Weltkrieg, als der Kalte Krieg begann, machte man in USA Jagd auf Kommunisten, die sogenannte McCarthy-Ära. Ihr fielen auch viele Intellektuelle zum Opfer, auch viele Europäer, die vor der Verfolgung durch die Nazis in die USA geflohen waren. Thomas Mann fühlte sich nicht mehr sicher dort und kehrte nach Europa zurück. Ebenso der jüdische Augsburger Friedrich Georg Friedmann. Er verlor seine Professur, weil er sich für die Gleichberechtigung der Schwarzen ausgesprochen hatte. Der schwarze Pastor Wheeler Parker hat in dieser Zeit gesagt: Wenn ich im Süden Leben würde und katholisch wäre, würde ich mir Sorgen machen. Wenn ich jüdisch wäre, würde ich die Koffer packen. Und wenn ich schwarz wäre, wäre ich schon weg. Über lange Zeit hat nur richtig dazugehört, wer weiss, angelsächsischer Abstammung und protestantischen Glaubens war. John F. Kennedy war der erste katholische Präsident.
     
  4. In den 60er-Jahren protestierten die zumeist linken Studenten gegen den Vietnam-Krieg. Sie, zumeist weisse junge Menschen, wurden von der weissen Polizei brutal misshandelt, Hauptschulabsolventen mit knappem Gehalt liessen ihre Wut an Akademikern, oft Kinder reicher Eltern aus. Und jetzt macht Trump den grossen Universitäten der USA das Leben schwer.
     
  5. Apropos Vietnamkrieg: Die Schmach dieses verlorenen Krieges riss tiefe, bleibende Wunden ins amerikanische Selbstbewusstsein. Kleine, magere Habenichtse mit Schlitzaugen haben die stärkste Armee der Welt und ihre 8-motorigen B52-Bomber vorgeführt. 1969 war im amerikanischen Radio die Schnulze „God bless America again!“ (Möge Gott sein Amerika wieder segnen!) zu hören. Gleichsam: Die Klage, dass Gott hat sein auserwähltes Volk verlassen hat. Trumps Slogan „Make America great again!“ hat darin seine Wurzeln.

In Summe gibt es in Amerika eine weitverbreitete und tiefverwurzelte Liebe zum eigenen Land, auch zum Bodenständigen, Einfachen und eine Scheu vor allem Fremden, Anderen, vor dem Überspitzten, Intellektuellen. Diese Scheu tritt mal schwächer, mal stärker zu Tage. Sie ist ein Potential, das genützt und missbraucht werden kann. Es hat jetzt einem Demagogen dazu verholfen mächtigster Mann auf dieser Erde zu werden. Wir Deutschen wissen, wohin das führen kann. Es geht nicht nur um das Verhältnis zu Deutschland und Europa. Es geht um die Zukunft der ganzen Welt. Und es ist Grund genug besorgt zu sein und zu beten.

Zum Schluss ist es mir ein Bedürfnis zu betonen, dass ich in den USA ganz viele freundliche, hilfsbereite und höfliche Menschen, die sich gefreut haben, einmal mit jemandem aus einem anderen Land zu sprechen, angetroffen habe. Auch von der defensiven Art Auto zu fahren können wir Deutschen nur lernen.