7. Juni 2024 | Impuls von Pfarrer Hans Borchardt

Impulse für das Friedensgebet „Punkt 7“ am 7.6.2024

Wir sind hier, um für den Frieden zu beten: Das ist – hoffe ich zumindest - unbestritten für alle, die glauben, die erste und unverzichtbare Aufgabe in diesen Tagen und diesen Konflikten, die uns zu schaffen machen.

Mein Impuls heute bezieht sich jedoch nicht auf alle Konflikte, sondern auf den Krieg, der immer noch in Gaza stattfindet; und im Kleinen auch im Westjordanland.

Ich weiß: Vertreter beider großer Kirchen in Deutschland haben immer wieder seit dem 7. Oktober zu Verhandlungen gemahnt, zu Waffenstillstand, zu ernsthaftem Bemühen, dem Leid endlich ein Ende zu setzen.

Und doch stelle ich eine Schieflage fest, die mich – je länger sie dauert – umso betroffener, ratloser, trauriger macht.

Als die Hamas am 7. Oktober den Süden Israels überfallen und über 1000 Menschen ermordet, zuvor z. T. vergewaltigt und brutal misshandelt hatte und etwa 200 Geiseln in ihrer Gewalt waren, verurteilten die Kirchen in Deutschland dies mit aller gebotenen Schärfe. Die Synode der ELKB verabschiedete im Herbst 2023 ein Papier, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ – auch im Blick auf die Warnung vor einer Zunahme von Antisemitismus bei uns in D.  Zurecht, denn: Jedes Menschenleben ist kostbar; jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes; „du sollst nicht töten!“ lautet Gottes Gebot. Und: Das internationale Völkerrecht, das Menschenleben schützt, ist zu beachten!

Dies alles haben die Hamas-Terroristen missachtet und vielen Menschen brutales Leid angetan!

Und außerdem: Juden sind für uns Christ*innen unsere älteren Geschwister im Glauben an Gott. Nach allem, was Antijudaismus und Antisemitismus in Europa und vor allem in Deutschland angerichtet haben, gilt es für uns Christinnen und Christen, die Erinnerung daran zu bewahren – und jeder Form von Antisemitismus klar zu widerstehen.

Nur: Warum hört man bis heute nichts vergleichbar Deutliches, Klares, die betroffenen Menschen Schützendes von den kirchenleitenden Organen Autorisiertes, wenn es um das Leid von Palästinenser*innen in Gaza nach dem Einmarsch der israelischen Armee geht und im Westjordanland durch die Gewalt der Siedler dort? In dieser Hinsicht: Mahnende Predigten einzelner Kirchenvertreter, Forderungen nach Verhandlungen, aber kein klares Benennen von Unrecht in aller Deutlichkeit durch Synoden oder Kirchenleitungen als Kirchenleitungen!

Ich lese und höre seit dem 7. Oktober von Kirchenseite, dass das Existenzrecht Israels nicht angetastet werden darf – ganz zu recht!

Aber eine ähnliche Forderung nach einem Existenzrecht für die Palästinenser? Schweigen!

Vielleicht habe ich nicht alles mitbekommen – dann möge man mich bitte aufklären.

Aber mein Eindruck ist: Unsere Kirchen in Deutschland sind auf einem Auge blind.

Warum? Ich vermute: Sie haben schlicht Angst, wieder als antisemitisch“ bezeichnet zu werden, wenn sie deutliche und klare Kritik am Militäreinsatz in Gaza oder an der Siedlergewalt in Westjordanland üben und sich auch auf die Seite der dort Leidenden stellen würden!

Als Christinnen und Christen ist unser Platz an der Seite der Leidenden! Das gilt für die Menschen in Israel, die um ihre Toten trauern, die sich um ihre Verletzten Sorgen machen, die um ihre gefangengehaltenen Geiseln bangen.

Und das gilt genauso für die Menschen in Palästina, die um ihre Toten trauern, die sich um ihre Verletzten Sorgen machen, die dort vertrieben wurden, die hungern und in Angst leben vor dem nächsten Bombeneinschlag.

Wenn Kirche offiziell das Unrecht der Einen beim Namen nennt – dann darf sie nicht beim Unrecht der Anderen offiziell schweigen!

„Die Sicherheit des Staates Israel ist deutsche Staatsräson“ – so hat es Angela Merkel 2008 vor der Knesset, dem israelischen Parlament gesagt.

Seither gerät Kritik an der Regierung Israels oder an seinem militärischen Vorgehen in Deutschland schnell in den Ruf, „antisemitisch“ zu sein.

Dabei ist „antisemitisch“ eine Haltung, die gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden gerichtet ist – und Kritik an einer Regierung ist Kritik an einer Regierung. Wenn sie auf Fakten beruht und nicht menschenverachtend daherkommt, darf es solche Kritik in einem demokratischen Land an jeder Regierung geben!                 Es ist fatal, dass dies bei Israel in weiten Teilen der öffentlichen Meinung und Meinungsbildung nicht so ganz klar ist.

Das kritisieren übrigens auch gar nicht so wenige Jüdinnen und Juden selbst. Stellvertretend zitiere ich aus der AZ vom 12.3.2024, die über einen Auftritt von Deborah Feldmann beim Literaturfestival Lit.Cologne in Köln berichtet. „In Deutschland werde der Antisemitismus-Vorwurf gezielt eingesetzt, um Kritik an der israelischen Regierung zu ersticken, sagte Feldmann. Sie sei „schockiert, wie sehr die perfide Verdrehung und Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs“ seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober zugenommen habe. „Ich habe schon früher darüber geredet, dass der Antisemitismus-Vorwurf immer leichter fällt, immer weniger begründet ist, immer schwieriger ist zu definieren. Inzwischen, nach einigen Monaten, hatte ich den Eindruck, ist es fast eine Massenhysterie geworden. Jetzt ist alles Antisemitismus, jetzt sind vor allem die Juden Antisemiten.““ – Und sie meint damit diejenigen Jüdinnen und Juden, die in D. das Vorgehen der israelischen Regierung kritisieren.

Kirche will – und darf auch in der Tat – nie wieder antisemitisch sein; aber dass sie dabei der von Deborah Feldmann erkannten und deutlich kritisierten politischen Instrumentalisierung dieses Begriffes auf dem Leim geht, ist fatal. Wie muss die Ungleichbehandlung von Juden und Muslimen durch die Kirchen auf Muslime in unserem Land wirken?

Wie auf die demokratische Kultur von Kritikfähigkeit und zivilem Engagement?

Und die Frage zum Schluss: Würde Jesus heute gegen den Terror der Hamas scharf protestieren – und bei den über 35 000 Toten in Gaza nicht auch? Würde Jesus da „nur“ zu Mäßigung und Verhandlungen und Gebeten aufrufen? Würde er nicht auf beiden Seiten des Konflikts die Kriegstreiber beim Namen nennen und die Friedensstifter auch heute seligpreisen, die es gibt: In Israel und in Palästina! Und sollte seine Kirche – also konkret: Sollten wir als Christinnen und Christen in unseren Gebeten und in unserem Reden und Handeln nicht genauso uns klar gegen die Gewalttäter der Hamas und gegen die Gewalttäter in der derzeitigen israelischen Regierung stellen – und klar auf die Seite der Friedensuchenden in beiden Bevölkerungen? Denn: Jedes Menschenleben ist kostbar; jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes; „du sollst nicht töten!“ lautet Gottes Gebot. Und: Das internationale Völkerrecht, das Menschenleben schützt, ist zu beachten!  Amen