Impulsbeitrag „Wir haben die Wahl.“ Freiheit und Demokratie – auch eine Frage der geistlichen Haltungen
Punkt 7 - 30 Minuten innehalten für die Nöte der Welt
7. Februar 2025, 19:00 Uhr
Gerlinde Knoller
In diesen Wochen ist die Spannung mit Händen zu greifen. Am 23. Februar haben wir die Wahl – es wird ein neuer Bundestag gewählt. Dies vor dem Hintergrund gewaltiger Gegenwartskrisen, die bisherige Gewissheiten ins Wanken gebracht haben: Hatten wir denn nicht daran geglaubt, dass es – nach der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Shoah, allgemeiner Konsens sein würde, dass Friede, Freiheit und Menschenwürde nur durch eine Demokratie gewährleistet werden können? Hätten wir je gedacht, dass dieser Konsens rund achtzig Jahre später schon wieder von erstarkenden nationalen Kräften in Frage gestellt wird? Ich hätte es nicht gedacht.
Ich will die Worte aus der Präambel der Bayerischen Verfassung in Erinnerung rufen: „Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung.“
Wie kann, was bisher undenkbar schien, plötzlich wieder denkbar, wieder salonfähig werden? Ich will an dieser Stelle, hier, in der Kirche, keine Wahlrede halten. Das tun andere. Und ich nehme auch an, dass unter Ihnen all jene sitzen, die keine Erklärung dafür brauchen, warum wir gerade jetzt mit ganzem Herzen für die Demokratie, für die Freiheit, für die Menschenwürde besonders entschieden eintreten müssen. Auch im alltäglichen Diskurs mit anderen.
Was ich heute, bei diesem Friedensgebet, aufzeigen möchte, ist, dass der Einsatz für die Demokratie, für die Freiheit, für die Menschenwürde – ja für den Frieden, auch eine Frage von geistlichen Haltungen ist. Von Geisteshaltungen, die wir in unseren Diskursen, in unserem Miteinander immer wieder einüben können. Dort schon beginnt der Friede - im eigenen Herzen. Im eigenen Denken. Im eigenen Handeln. Um diese Haltungen dürfen wir auch beten.
Der innere Friede
Der innere Friede, das heißt: Sich nicht hin und herwerfen lassen wie ein führungsloses Schiffchen auf den Wellen der aktuellen Aufgeregtheit. Als eine erste geistliche Haltung möchte ich den eigenen „inneren Frieden“ nennen. Einen Frieden, der daraus erwächst, dass ich um meinen eigenen Wert weiß, ganz einfach: dass ich mich selber mag. Dass ich mich von Gott und auch von meinen Mitmenschen geliebt und angenommen weiß – in allem, selbst mit meinen Schattenseiten und Kratzern. Wer sich selbst annimmt, wer sich seiner Würde als Mensch bewusst ist, ist nicht so anfällig für unbestimmte Ängste. Der Angst, dass der andere ihm etwas streitig machen könnte von seinem Leben, von seinem Wohlstand, seinem Glück.
Wer in „innerem Frieden“ mit sich selbst ist, kann leichter mit dem anderen in Frieden leben. Ja, er sieht den anderen als Mitmenschen, als seinen Nächsten, an, mit dem es zu teilen und gemeinsam die Welt zu gestalten gilt. Das wird nicht immer in Harmonie und Einigkeit gelingen, sondern auch in der Auseinandersetzung und im Streit – der jedoch nie soweit führen sollte, dem anderen die menschliche Würde und Achtung abzusprechen.
Die Demut
Ein weiterer geistlicher Baustein für den Frieden ist die Demut. Was für ein altmodisches Wort! Doch in der Gegenwart könnte es zu einem Schlüsselbegriff werden in Abgrenzung zur medialen Sucht der Selbstdarstellung. Die öffentliche Debatte ist unendlich laut geworden, bestimmt von den vielen „Ichs“, die Heil und Rettung versprechen. Eine Debatte, die gekennzeichnet ist von Emotion und Daueraufregung, von Rede und prompter Gegenrede, von kommunikativen Formen, bei denen es längst nicht mehr um das einander Verbindende gehen soll; bis hin zu Hass und Hetze aus der Anonymität des Netzes heraus – oder inzwischen sogar öffentlich, ohne Scham. Die Demut als geistliche Haltung für den Frieden geht immer auch einen Schritt zurück, beharrt nicht auf der eigenen Meinung, sondern sucht, zu „Hören“, wirklich „Hinzuhören“. Der hl. Ignatius von Loyola spricht davon, „die Aussage des anderen zu retten“. Sind wir dazu bereit, dem anderen genau zuzuhören, ihm mit Achtung und Anstand zu begegnen? Sind wir dazu bereit, Besserwisser-Allüren abzustreifen und auf rasche Urteile aus dem Bauch heraus zu verzichten? Wer einen Schritt zurücktritt, gewinnt Distanz, eine Distanz, die einen weiteren und oft auch differenzierteren Blick und ein abgewogeneres Unterscheiden und Urteilen ermöglicht. Darin liegt auch die Kunst der geistlichen Unterscheidung – der Kräfte, die zum Guten führen – und der Kräfte, die uns als Gesellschaft spalten, auseinanderdividieren wollen.
Die Sinne schärfen für das, was nicht stimmt
Angesichts der Flut von Hiobsbotschaften liegt die Versuchung nahe, zu sagen: „Ich will von alledem nichts mehr hören“. Doch selbst wenn wir Augen und Ohren verschließen vor der Wirklichkeit, bleibt sie die Wirklichkeit, die sie ist. Sich heraushalten wollen, gleichgültig sein, zu meinen, kümmern sollen sich nur die anderen, mag vielleicht zur eigenen Seelenruhe, aber nicht zum Frieden für alle beitragen.
Kritische Debatten müssen geführt werden, die drängenden Fragen von heute brauchen die gemeinsame Suche nach Lösungen, den parlamentarischen Diskurs, nicht nachlassende Gespräche und das Ringen um Kompromisse. Bei der Taufe wurde jedem von uns auch die „prophetische Würde“ zugesagt. Eine Zusage und Herausforderung zugleich, unsere prophetische Kraft dort einzusetzen, wo Gott uns hingestellt hat. Und auch unsere je eigene Stimme einzubringen.
Friede geschieht nicht von selbst, er muss immer wieder errungen, gestaltet werden. In jedem von uns dürfte eine innere Stimme angelegt sein, die uns sagt, wenn etwas nicht stimmt, wenn Unrecht geschieht. Schärfen wir unsere Sinne, damit wir sehen, hören und spüren, wenn sich in unserem Miteinander ein friedloser Ungeist, eine Bitterwurzel, breit zu machen beginnt. Wo Menschen ausgegrenzt, in ihrer Würde verletzt werden. Und steuern wir mit unseren Möglichkeiten dagegen, die wir haben – unserer Widerrede, unserer Hoffnung, unseren Fähigkeiten zum Ausgleich und zur Friedensstiftung.
In alledem – bleiben wir, wie es die Präambel der Bayerischen Verfassung sagt – „eingedenk“ auch unserer Geschichte und fest entschlossen, „auch den kommenden deutschen Geschlechtern“ die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern. Wir haben die Wahl. Nicht nur am 23. Februar.